Schriftgattungen
Nun zur Unterteilung der Schriftfamilien an sich in verschiedene Schriftgattungen, wobei diese Unterteilung vor allem historisch bedingt ist. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren Schriften ohne Serifen beinahe undenkbar, weshalb diese bei ihrem Erscheinen auch den Namen „Grotesk“ erhielten (die Serifschriften bekamen darauf hin von ihren quasi Gegnern den Beinamen „Antiqua“).
Zur Erklärung:
Als Serifen werden die jeweiligen Endstriche auf den Schriftzeichen bezeichnet (siehe rechte Seite) und siehe auch die allseits bekannte Times New Roman, die wohl jeder in ihrer Verwendung in Programmen wie Microsoft Word kennt – hier wird das Charakteristikum von Serif deutlich.
Schriftfamilie bedeutet also wie gesagt immer „eine Schrift“ (zB die hier verwendete Open Sans) mitsamt ihren einzelnen Schriftschnitten (daher in unserem Beispiel der Open Sans mitsamt ihren Schnitten Light, Regular, Bold, Black), während Schriftgattung die übergeordnete Kategorie bezeichnet. Im Falle der Open Sans gehört diese stilistisch gesehen (mit allen ihren Schnitten) zur Gruppe der Sans Serif-Schriften (oder kurz Sans genannt).
Als grobe Einteilung für die alltägliche Arbeit als Grafik-Designer hat sich die folgende Einteilung bewährt (siehe auch rechte Seite): Serif, Sans Serif, Semi Serif, Slab, Display und Unicase. Handwriting kommt selten, Blackletter eigentlich so gut wie nie zum Einsatz.
Diese Einteilung trennt Schriften einerseits nach ihrer Funktionalität, andererseits nach ihrer stilistischen, „psychologischen“ Wirkung, die im Allgemeinen einer bestimmten Schriftgattung zugeordnet wird.
Deutlich wird dies zB, wenn man ein und dasselbe Wort einmal mit Sans Serif setzt und dann als Vergleich mit Handwriting – von der stilistisch-psychologischen Auswirkung her zwei komplett verschiedene Welten, die sich daraus ergeben.
Die Schriftgattungen im Einzelnen
1. Serif
Der große Vorteil von Serifenschriften ist ihre Eigenschaft, den Lesefluss zu unterstützen: die Serifen bilden (vor allem auf der Horizontalachse) eine Art Leitplankensystem, an dem entlang der Blick geleitet wird – ein Vorteil, der vor allem beim Lesen von größeren Textmengen (wie zB einem Buch) zum Tragen kommt. Nicht umsonst greifen viele Publikationen bei ihren Mengentexten auf eine entsprechende Serifenschrift zurück.
Warum nicht alle Publikationen? Nun, hier kommt die eingangs erwähnte historische Komponente ins Spiel – Serifenschriften waren ja bis Anfang des 20. Jahrhunderts die einzig gängigen Schriftarten, die Sans Serif konnten sich dann erst über Jahrzehnte hinweg den Platz in unserer visuellen Welt erobern, den sie mittlerweile innehaben.
Serifenschriften werden daher heute als altmodisch qualifiziert (siehe auch ihr Beiname „Antiqua“), was sich auch auf ihren rein funktionalen Einsatz auswirkt: viele Publikationen verwenden für Mengentexte bewusst keine Serifenschriften mehr, sondern greifen stattdessen auf eine Sans Serif zurück um modern wirken zu können – kommt doch der psychologische Faktor „Sans Serif = moderner“ letzten Endes allein schon beim Betrachten des Textes an sich zum Tragen, weshalb (und das ist eine rein stilistische Frage) Serifenschrifen gegebenenfalles für die Verwendung ausscheiden, ungeachtet der Vorteile, die sie bei Mengentexten haben.
2. Sans Serif
Sans Serif-Schriften sind der große Pool, mit dem Grafik-Design im Alltag arbeitet – wie gesagt vor allem historisch bedingt. Wäre die geschichtliche Kette anders herum verlaufen (zuerst Dominanz der Sans Serif, dann das Erscheinen der Serifschriften), würde die Sache wahrscheinlich etwas anders aussehen.
Und doch kommt auch hier eine weitere Komponente ins Spiel: Sans Serif vermitteln alleine durch ihr Erscheinungsbild Klarheit, basierend auf ihrer Reduktion auf den eigentlichen visuellen Kern jedes Zeichens – sie lassen all jede Informationen (dh Serifen) weg, die nicht für die eindeutige Identifikation eines Zeichens notwendig sind; man könnte sie daher auch als „architektonisch“ bezeichnen, gleichsam einem Stahlträgerbau, der nur die absolut notwendigen Komponenten verwendet. Nicht umsonst hat der grafische Trend der letzten 10 Jahre (der visuelle „Minimalismus“) die Sans Serif auf den unangefochtenen Platz eins katapultiert, um in der komplexen Welt von heute Klarheit zu vermitteln.
3. Semi Serif
Semi Serif sind mehr Spielart als eine Notwendigkeit – hier kommt das rein stilistische Element von Grafik-Design zum Tragen, wo es tatsächlich um „das Aussehen“ geht, abseits einer lesetechnischen Funktionalität. Sie vereinen die klare Lesbarkeit und moderne Ästhetik von Sans-Serif-Schriften mit den dekorativen Elementen von Serifenschriften. Semiserif-Schriften werden auch als halbserifenlose Schriften bezeichnet.
In der Praxis wird Semi Serif gerne da eingesetzt, wo sich ein Unternehmen in der Mitte von „Stabilität & Tradition“ (dh Serif) und „dynamisch-modern“ (dh Sans) einpendeln möchte. In Betracht kommen hier tendenziell gesprochen zB der Pharmabereich oder Versicherungen.
4. Display
Display ist naturgemäß der Favorit aller Grafik-Designer: in diese Kategorie fallen alle Schriften, die ungewöhnlich sind und derart groß verwendet werden können, dass ihre schwere Lesbarkeit keine Rolle mehr spielt; sie werden ohnehin nicht für Mengentext verwendet (daher auch ihr Name „Display“, spielt auf ihre Verwendung auf Plakaten, Postern, POS-Materialien etc an). Hier sind dem Schriftgestalter keine Grenzen gesetzt, alles ist erlaubt, bis hin zur schieren Unlesbarkeit (dies kann dann zB als Stilmittel verwendet werden).
Bei der Auswahl von Displayschriften tritt das konzeptionelle Element von Grafik-Design klar hervor: welche Aussage soll getroffen werden, welchen Platz nimmt die Schrift als grafisches Element in der Gesamtkomposition ein, wie kann das Gesagte mit dem generellen Selbstverständnis des Unternehmens am besten synchronisiert werden etc. Die dabei verwendete Displayschrift ist dann sozusagen der visuelle Magnet, der den Blick des Betrachters auf sich ziehen soll.
5. Slab Serif
Hier sind die Serifen mehr blockartig gestaltet und bewusst teils stark überbetont, was ihnen einen robusten und auffälligen Charakter verleiht. Man spricht auch von „serifenverstärkten“ Schriften.
Auch diese Schriftart ist mehr Spielart als Notwendigkeit; Slab-Schriten kommen gerne da zum Einsatz, wo es um Big, Bold & Confident geht – kein Wunder, kommt diese Schriftart doch historisch gesehen aus den USA, wo sie als Werbeschrift etabliert wurde.
6. Unicase
Auch diese Schriftgattung ist mehr eine Spielart – hier laufen Groß- und Kleinbuchstaben in einer immer gleich hohen Schrifthöhe, es gibt hier daher keine Groß- und Kleinschreibung mehr.
Der große Vorteil: dieser Schriftstil bleibt grafisch immer kompakt, was ihn vor allem für Überschriften qualifiziert. Auch die interessanten grafischen Komponenten des Schriftbilds an sich (Groß- und Kleinbuchstaben in gleicher Höhe gemischt) machen Unicase zu einem Liebling des Grafik-Designs.
7. Handwriting • Script
Diese Kategorie spricht für sich selbst – zusammengefasst werden hier all jene Schriften, die vor allem durch das Digitalisieren von Handschriften entstanden sind. Im Alltag eines Grafik-Designers spielen sie eine untergeordnete Rolle, sie werden vor allem dann eingesetzt, wenn sie konzeptiv Sinn machen (zB für die Webseite eines Blumenladens, der sich auf Geschenkgestecke spezialisiert hat etc). Von der Stilistik selber her können sie hervorragende Arbeit leisten, je nachdem, welche Art von Handschrift wo verwendet wird.
8. Sonderform Lettering
Einfach ausgedrückt ist Lettering das grafische Ausgestalten eines Schriftzuges, vor allem mit den Stilmitteln, die durch das Erweitern von Buchstabenteilen zur Verfügung stehen (Beispiel 1).
Handlettering bezeichnet das Zeichnen eines Schriftzugs per Hand (Beispiel 2). Der Coca Cola-Schriftzug ist hierfür ein gutes Beispiel.
9. Blackletter
Blackletter-Schriften sind auch als Frakturschriften oder gebrochene Schriften bekannt. Sie sind eine historische Schriftgattung, mit gotischen gebrochenen Linien und charakteristisch spitzen Serifen. Sie wurden im Mittelalter in Europa entwickelt und waren im deutschsprachigen Raum bis zum Beginn des 20. Jahrhundert verbreitet.
Heutzutage werden Blackletter-Schriften hauptsächlich für dekorative oder nostalgische Zwecke verwendet, bzw. als stilistisches Mittel im Bereich der Alltags- und Popkultur (siehe Musikbranche).
Fazit
Schriften sind ein elementarer Bestanteil vom Grafik-Design; ihre Verwendung bedarf einiges an Übung und Wissen, um ihnen den richtigen Platz in der Gesamtkomposition zuzuordnen.
Grafik-Design ist hier (auch im Rahmen dieses Blogs) stets mehr als nur Schrift, es besteht auch aus den notwendigen weiteren Elementen wie Flächen, Linien, Bildern etc, um das tatsächliche Optimum aus dem vorhandenen Platz herauszuholen und die visuelle Aussage so kompakt und eindeutig wie möglich zu halten. Hier kommen dann weitere Komponenten (wie die Komposition an sich, die Verwendung von Form und Farbe etc) zum Tragen. Mehr in den anderen Blogbeiträgen!